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Faszination Kanada – ein großer Haufen Nichts

Aktualisiert: 3. Sept. 2019


Und als wir dachten, dass es gar nicht mehr schöner werden kann, überquerten wir erneut die kanadisch-amerikanische Grenze und erleben die Faszination Kanada – ein riesen Haufen Nichts, ein riesen Haufen Schönheit und in der Anfangszeit vor allem ein riesen Haufen Regen.


Wir fahren mal wieder tausende Kilometer durchs Nichts, ohne Handyempfang, ohne alles – was auf unserem Hinweg hoch nach Alaska so wunderschön und voller traumhafter Seen und gefüllt von Sonnenschein und blauem Himmel war, ist jetzt eine einzige verregnete Scheiße. Weit und breit nichts, nur Regen Regen Regen, wir gefangen in unserer winzigen Blechbüchse ohne Möglichkeit zu kochen und am Wegrand 27 Bisons, die, mit grimmigen Gesichtern am Straßenrand entlang und durch den niederprasselnden Regen wandern als wäre es der Gang zur verhassten nine-to-five Arbeit am Montagmorgen.


EINE SPUR IN DIESER WELT HINTERLASSEN

Einige Kilometer hinter der Grenze, dem 2.288 Kilometer langen Alaska Highway folgend, landen wir in Watson Lake, einem kleinen prinzipiell uninteressanten Ort – nicht groß, nicht schön und - ACHTUNG, ÜBERRASCHUNG – eingehüllt in Regen. Dann entdecken wir, direkt am Highway gelegen, abertausende Schilder – Ortseingangsschilder, Stadtschilder, Autokennzeichen und ein paar personalisierte Schilder. Abertausende Schilder angenagelt auf fünf Meter hohen Holzpfeilern – angebracht von Reisenden, die durch diesen anderweitig unspektakulären Ort passieren. Ursprünglich durch Carl Lindley 1942 ins Leben gerufen, als er als Soldat aus Illinois hier am Alaska Highway arbeitete und in Heimweh das Ortseingangsschild seiner Heimatstadt hier platzierte, ist dies heute ein fantastischer Ort voller Erinnerungen und Geschichten. Im Schilderwald entdecken wir ein Berliner Ortseingangsschild, ein Bielefelder Autokennzeichen, Ortseingangsschilder aus dem Sauerland – kleine Orte, in denen unsere Familie lebt... Orte aus der ganzen Welt findet man hier im Schilderwald – Neuseeland, Australien, Amerika, Europa. Wir wandern staunend und suchend durch den Schilderwald und wünschten auch wir könnten unsere Spur hier hinterlassen, hoffen aber, dass wir es auch ohne Schild irgendwie irgendwann irgendwo tun.



Schilderwald:„Sign Post Forest“ – „The Watson Lake Sign Post Forest is the oldest and most extensive site of it’s type. It represents the longstanding tradition of „leaving your mark“.

[...] While the tangible aspects of the forest will continue to evolve, it is the intangible values, such as the emotional connection people make with the site and the stories and memoriest hey conjure, that give the Sign Post Forest ist enduring qualities.“

DISNEY & DIE KIRCHE

Wir fahren weiter und treffen wenige Kilometer vorm Eingang zum berühmten Jasper Nationalpark ganz unerwartet auf Monogamie und Michael Jackson – kurz, wir treffen auf Kathja und Christoph, zwei Urlauber im schicken Luxusvan mit ausfahrbarer Markise und spannenden Gesprächsthemen im Gepäck. Das trifft sich bei dem leichten Regen des Abends, unserem Mangel an sozialen Kontakten und unserem diesmal recht spärlich aufgebauten Regenzelt äußerst gut. Kurzum nehmen wir unser selbstgemachtes leicht angebranntes Chili sowie Bier und Wein und laden uns zu den zwei Fremden ans Lagerfeuer ein.



Aus Fremden werden in kürzester Zeit enge Vertraute – wir unterhalten uns über die absurdesten und zugleich alltäglichsten Themen dieser verrückten Welt und die Denke unserer Zeit – eben über Disney und die Kirche und was uns beide zu vermitteln versuchen... eine Flasche Rotwein, ein paar Bier und über dem Feuer geröstete Marshmellows später, fallen wir, mit einer Verabredung zu einer gemeinsamen Wanderung am Folgetag, in unsere Betten.

JASPER NATIONALPARK

Mount Edith. Wie geplant machen wir uns mit unseren neuen Freunden und einem eher ungeplanten Kater auf in den Jasper Nationalpark zu einer kleinen Wanderung am Mount Edith. Hier erwartet uns neben einer leicht keuchenden Wandergruppe, eine gigantische Aussicht auf eine Gletscherspalte („Cavell Glacier“) und einen hellblau strahlenden Teich („Cavell Pond“) bei zwei Stunden Sonnenschein und einer Regenpause. In erneutem Unglauben über die Schönheit dieser unberührten Natur, wandern wir also schnellen Schrittes durch die Berge, geleitet von der wiederkehrenden Hoffnung, fußläufig doch bitte keinem Bären zu begegnen.




Nach einer weiteren gemeinsamen Nacht mit unseren neuen Freunden, machen wir uns zu zweit auf nach „Jasper City“, wo wir uns gegenseitig zu einem kleinen Nachmittagsdate ausführen – es wurde ohnehin mal wieder Zeit für Pizza im neapolitanischen Stil – dazu läuft im Fernsehen der Roger’s Cup.


Ein Date mit Pizza und Tennis ist trotz unseres neuen Lebens als Camper nach wie vor ganz nach unserem Geschmack.







YOLO IM YOHO NATIONALPARK

YOLO – You Only Live Once, oder in unserem Fall eher YOHO – You’re Only Here Once - Und da wir wahrscheinlich wirklich nur dieses eine Mal hier sein werden, kann uns auch der anhaltende Regen nicht von den schönsten Orten Kanadas abhalten.




Bei regnerischem Wetter fahren wir also zum Yoho Nationalpark und zum Emerald Lake, der seinem Namen entsprechend in einem smaragdgrün erstrahlt. Vor dem Regen flüchtend, setzten wir uns in das kleine anliegende Café und genießen eine heiße Schokolade und überlegen uns, was wir an diesen nassen Tagen mit unserem Leben anfangen sollen. Ergebnislos machen wir uns auf den Weg zu den Takakkaw Falls, der mit seinen fast 120 Metern einen der höchsten Wasserfälle Kanadas darstellt und Dank schmelzendem Gletschereis und Regenwasser laut vor sich hin tost. Auf dem Rückweg halten wir noch am Spiral Tunnel an – unwissend was dieser eigentlich ist, stehen wir also am „Spiral Tunnel Viewpoint“, wissen nicht ob wir nach unten in die Schluchten der Berge oder nach oben in den Himmel schauen sollen – Empfang gibt es hier keinen, Google hilft nicht weiter und die anderen Reisenden sind auch alle ratlos. Also fahren wir wieder und finden später heraus, dass es sich hierbei um eine Eisenbahn handelt, deren Gleise durch einen Tunnel in den kanadischen Rocky Mountains, in Form zweier Achten verläuft. Tja, man kann ja auch nicht alles wissen und schon gar nicht alles sehen – muss sich aber auch nicht für alles interessieren.

DIE DAUERREGENSCHLEIFE IM BANFF NATIONALPARK

Canmore. Tag 7 in der Dauerregenschleife. Seitdem wir Alaska verlassen haben, schleppen wir den Regen seit über 3.500km mit – der Natur tut das gut und es wirkt gegen Waldbrände. Uns in unserem Minivan gefällt das nicht so gut; kochen im Regen – ne ziemlich blöde Angelegenheit, BH Wechsel mit Tropfen auf dem Rücken irgendwie auch. Die wenigen Stunden mit Sonne nutzen wir zum Bewandern der Rockies und zum Bestaunen der türkisfarbenen Seen – selbst im tagelangen Sauwetter ist Kanada einfach atemberaubend – ja magisch und mystisch sogar. Trotzdem könnte da oben so langsam jemand mal die Bewässerungsanlage abdrehen – uns reich es, wir haben keinen Bock mehr auf feucht fröhlich. In diesem Sinne: Wir wollen ins Hotel, können es uns aber nicht leisten - $350 pro Nacht im Nationalpark, die haben wir gerade nicht locker sitzen – nicht mal die $100 für das günstigste Hostel. Und so schreien wir ein paar Hilferufe ins Nichts und hoffen auf Besserung – den für seine Schönheit bekannten „Icefields Parkway“ haben wir nämlich bereits auf Grund von Nebelschwaden und Regenwolken nur spärlich sehen können. Dafür erleben wir den Lake Louise und den Lake Moraine in romantischen mystischen Begebenheiten. 




Als unsere Himmelsgebete an Tag 8 endlich erhört werden und wir mit blauem Himmel und Sonnenschein geweckt werden, machen wir eine Wanderung mit Irene.

Irene: liebevolle Kanadierin mit asiatischen Wurzeln, Weltreisende und, wie könnte es bei Tini’s Freunden anders sein, Basketballerin.



Grassi Lakes Trail Head. Eine Stunde wandern, ein Mirrorlake, viele Felswände, an denen geklettert wird und zudem unglaublich viele tolle Gespräche – wir drei verstehen uns auf Anhieb sehr gut. Im Anschluss gibt uns Irene noch eine Einführung in die kanadische Kultur und führt uns aus zu „Poutin“. Nein, nicht das Staatsoberhaupt, sondern Pommes ertränkt in Bratensoße, garniert mit Mozzarella. Dazu gibt es einen klassischen Burger und zum Nachtisch ein Iced Capp von Tim Horton aka ein übersüßter Eiskaffee mit Sahne und ganz viel Zucker – Herzinfarkt, Bluthochdruck und Arterienverstopfung, wir kommen! Dies und ein „Ceasar“, ein Bloody Mary mit etwas anderem Tomatensaft, Tabasco und einer Garnierung, die einer ganzen Mahlzeit entspricht, sind also die „kanadischen Klassiker“ und wir sind ab heute wieder auf Diät.



Kananaskis. Am Abend treffen wir unsere Freunde Kathja und Christoph wieder und fahren in ein schönes Waldstück, wo wir uns einen schönen gemeinsamen Abend mit tollen Gesprächen und Lagerfeuer machen – es ist ein wundervoller Ort im Grünen mit Blick auf die Rockies – nur das Klo fehlt mal wieder.

„Da merkt man, worum es im Leben wirklich geht – Toiletten mit Spülung und Fußbodenheizung.“



Auf einen schönen Abend folgt ein schöner Morgen in kurzer Hose, mit Sonnenschein, Omelette, Smoothie und Bagel – ein traumhaftes Sonntagsfrühstück an einem Mittwoch in netter Gesellschaft. So schön kann Reisen sein, wenn es nicht regnet. Und nachdem wir noch ein äußerst angeheiztes Würfelspiel spielen und uns intensiv über die Verschwörungstheorie „Die Erde ist eine Scheibe“ unterhalten, trennen uns unsere Wege – diesmal final.



Lake Louise. Am Nachmittag machen wir eine Wanderung am Lake Louise mit Irene. Erneut können wir unseren Augen kaum trauen, es geht vorbei am Lake Louise und dem Chateau, weiter auf 2.135 Höhenmeter zum Lake Agnes – und dann zum Behive (Ein Berg in Form eines Bienenstocks) auf 2.270 Höhenmeter mit dem besten Blick auf den See und über die Rockies. Während unserer vierstündigen Wanderung treffen wir auf Eichhörnchen, Erdmännchen und Pikas und reden mal wieder über Gott und die Welt, über Hühnerbeine und Aalsoße. Zur Stärkung gibt es am Abend Gott sei Dank nichts dergleichen, sondern vielmehr eine Runde richtig geile Chicken Wings – auch Tini traut sich an die kleinen Flügelchen trotz ihrer großen Abneigung gegenüber Fleisch am Knochen. Noch verschwitzt von der Wanderung, schleust uns Irene in ihre Unterkunft und verschafft uns schnell eine illegale Dusche sowie ein geklautes Bier mit ihren Kollegen und Chefs im Gemeinschaftsraum – danach verabschieden auch wir uns voneinander und sind überglücklich über die tolle Zeit mit Irene und den sagenhaften Rocky Mountains.




WILDE TIERE.

„Wie unterscheidet man einen Schwarzbär von einem Grizzlybär? – Im Bauch des Grizzly’s findet man Bärenspray, eine Bärenglocke und Wanderschuhe.“ – haha.

Der Schwarzbär ist zu aller Überraschung schwarz, hat einen kleinen Kopf, große Ohren und kurze Krallen; der Grizzly ist eher bräunlich, hat einen großen Kopf, kleine runde Ohren, lange Krallen und zudem einen auffälligen Buckel – beiden wollen wir nicht zu nahe kommen, beide dürfen wir aber in freier Wildbahn aus sicherer Distanz beobachten. Auf Wanderungen laufen wir mit klingelnder nerv tötender Bärenglocke, mit Bärenspray bewaffnet und mit wachsamem Auge umher. Auch am Abend beim Kochen verzichten wir lieber auf geruchsintensives und fleischhaltiges Kochen und halten unsere romantischen Kochabende doch lieber kurz. Die Möglichkeiten der Begegnung mit einem der unfreundlichen Teddybären macht uns ganz schön zu schaffen; die Verhaltensweisen bei Tierbegegnungen haben wir mittlerweile verinnerlicht wie die Top 10 der Brovohits aus 1999:

Begegnung mit einem Bären: Ruhig bleiben, ansehen, mit lauter tiefer Stimme auf den Bären einreden, mit den Händen in der Luft wedeln und sich als Mensch erkenntlich zeigen – auf gar keinem Fall dem Bären den Rücken zu wenden oder gar weg laufen. Langsam rückwärts gehen und im Fall, dass der Bär sich einem nähert: tot stellen! Kommt es dann tatsächlich zu einem der eher unwahrscheinlichen Bärenangriffe soll man sich nach dem totstellen, dann allerdings doch gerne mit Händen und Füßen wehren – naja, im besten Fall hat man eben dieses Bärenspray dabei, dass den Bären, ähnlich wie Pfefferspray bei einem Menschen, irritiert – na dann.

Begegnung mit einem Wolf: Auf ihn zugehen und ihn laut anschreien und ihm befehlen, dass er weg gehen soll!

Begegnung mit einem Karibu oder Elch: Rennen, einfach nur rennen, sonst Geweih im Po!


Schön, was man auf so einer Reise nicht alles lernt, schön, wie viele unruhige Momente wir doch in den letzten Wochen hatten:

7 Schwarzbären

2 Schwarzbärkinder

1 Grizzly

2 Karibu

1 Elch („Moose“)

1 Elchin („female Moose, Möse“?)

19 Bisons

7 Babybisons

1 Weisskopfadler

25 Erdmännchen

3 Elche

8 Ziegen

10 Rehe

1 Murmeltier

Kaninchen, Mäuse, Eichhörnchen, Enten, Wildgänse, Vögel

3.000 angriffslustige Mosquitos





Oh Kanada, wir sind so verliebt in dich. Du und deine Rocky Mountains - ihr seid einfach unschlagbar. Wir würden am liebsten länger bleiben, hier arbeiten, hier leben - wir denken kurzweilig über eine Routenänderung nach – oder wollen wir direkt auswandern? Die Natur, diese Weiten, diese Größe, die Tiere – wir sind hin und weg. Unsere Reise geht weiter, wir machen einen kurzen letzten Zwischenstopp in Calgary und begegnen beim heimischen Genuss eines Falafel Shawarma dem kanadischen Stadtleben. Dann die erneute Grenzüberquerung – auf Wiedersehen Kanada, wir kommen ganz bestimmt wieder.





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