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Apfelkomplott


Wir starten morgens pünktlich um 8 – keine Minute früher, keine Minute später. In der ersten Woche sortieren wir die Äpfel am Baum aus; so hat sich Aschenputtel also beim Sortieren der Linsen gefühlt, nur, dass uns keine Tauben helfen. Die kleinen und die schrumpeligen, die durch einen Maß gefertigten Ring passen, sind zu klein und müssen runter vom Baum noch bevor die eigentliche Ernte beginnt. Zudem alle mit Sonnenbrand und Wurmlöchern. Ab und wann stürzt ein schöner großer roter Apfel mit vom Baum – kollateral Schadeneben. Im „echten“ Leben eigentlich genau das gleiche, wenn man mal genau drüber nachdenkt. Nur die nach Vorgabe wachsenden Äpfelchen schaffen es – die anderen sind Abfall. Leider, denn sie schmecken echt super. 


Um 10 Uhr ertönt eine Laute Hupe, die erste fünfzehn-Minuten Pause. Gott sei Dank! Alle kriechen aus ihren Gängen heraus und finden sich bei ihren Vans ein. Ein erstes Frühstück oder einfach nur mal sitzen. Dann nochmal eine dreißig Minuten Pause um 12:30 – jetzt gibt’s Mittagessen; Reste von gestern oder ein Käsebrot. Wach gehalten werden wir durch eine Schreckschusspistole, die alle paar Minuten abgefeuert wird; offiziell dient sie zum Verschrecken der Vögel. Vom Klang hört es sich ähnlich an wie der Ton, der in Panem erklingt, wenn ein Tribut gefallen ist. Von der Leiter gefallen ist Gott sei Dank keiner. Am Nachmittag um Punkt 15 Uhr gibt es dann nochmal eine fünzehn Minuten Pause; die reicht für einen Powernap, um die letzte Runde des Aussortierens und Pflückens zu überleben. Um 17 Uhr ist es dann geschafft. Eine letzte Hupe, wir dürfen gehen. Mitarbeiter, Supervisor und Chefs verlassen alle pünktlich und auf die Minute genau die Plantage.



Am Abend kehren wir alle zu einer von zwei Campsites zurück. Für $110 die Woche für uns beide, haben wir hier eine heiße Dusche, ein Klo und eine Gemeinschaftsküche mit allem was das Herz begehrt. Herdplatten, Ofen, Kühlschrank, Gefrierfach, Toaster, ein Boiler mit Heißwasser, Steckdosen, sogar ein Sandwhichmaker – wir leben im Luxus und in Saus und Braus. Gepflegt und bewacht wird die Campsite von Edith. Edith ist um die 70, vielleicht aber auch 110, putzt täglich Küche und Klo und hat sich einen Sport daraus gemacht, ihre Gäste liebevoll zu tyrannisieren, sollten sie ihr und ihrem Wedel im Wege stehen.


Das Arbeiterlager findet sich nach einer heißen Dusche am Abend zum gemeinschaftlichen nebeneinanderher Kochen und Leben ein. Wir bekommen viele neue Kochinspirationen – es wird Brot gebacken, Müsli im Ofen hergestellt, Apfelmus frisch zubereitet. Wir sind inspiriert und versuchen uns auch an dem ein oder anderen neuen Gericht.



Die meisten hier im Camp sind zwischen 19 und 24; ein paar Ausnahmen machen ein paar mit 27 und naja – wir zwei eben! Wir lauschen den jugendlichen Gesprächen, beteiligen uns an einigen sogar. Ach – noch einmal 19 sein.

„Und was sind deine Hobbies und was willst du eigentlich später mal werden?“

Wir fühlen uns wie neugeboren, wir sind nochmal 22 zwischen den ganzen jungen Kids mit denen wir hier auf unserer Apfelfarm abhängen – oder auch nicht, wir fühlen uns steinalt und total weise, glauben das Leben zu kennen, die Kids auch – vielleicht tun wir das auch, die vielleicht auch; waren wir in dem Alter eigentlich genauso blauäugig, aufmerksamkeitssuchend und etwas irre im Kopf?


Man stellt sich hier nicht mit Namen vor, wenn man Glück hat, erfährt man den ein oder anderen mal nebenbei. Mittlerweile, nach zwei Wochen der Zusammenarbeit, kennt man den ein oder anderen Namen. Da sind die drei deutschen hyperaktiven Boys – Paul, Max und Lasse – klingt wie die Kinder aus Bullerbü sind aber die Boys aus Berlin und Buxtehude. Sie sind echt cool, lieb und richtig hübsche Spargel Tarzane mit viel zu viel Energie zwischen den Backen. Wir quatschen viel, es ist echt lustig mit den Jungs. Dann ist da noch Milchgesicht mit seiner Pferdefreundin, und das andere dicke reitende Mädchen mit Nintendo-DS-spielendem Topfschnitt-tragendem-Hobbit-mit-Vollbart Freund – Prinz Eisenherz fusioniert mit Frodo Beutling sozusagen; der kann nur Kopfstimme. Marlene und Herrmann nennt man sie hier – ihre richtigen Namen sind das nicht. Aber Marlene, wenn du das hier lesen solltest, ein wohlwollender Freund empfiehlt dir eine neue Leggings zu kaufen. Klingt gemein, ist aber eben so. Ein Elektro-Trance-Psychodelic Kiwi Mädchen auf Droge mit Hippie Boyfriend ist auch dabei. Nach einer Woche erscheint sie zwei Tage nicht auf Arbeit – anscheinend wurde sie beim rauchen auf der Farm erwischt und direkt gefeuert – ein Gerücht, sie hatte sich nur den Finger verstaucht. Dann ist da noch ein süßes Israeli Paar, Gili und Yonatan, die nach der Arbeit immer Yoga machen. Wir lernen ein bisschen Hebräisch, können jetzt bis fünf zählen und sagen „Was geht ab? Lass mal ein Bier trinken gehen.“! Dann haben wir noch zwei französische Mädchen, Celine und Taiis, die eine mit rosa Ukulele und brauner Löwenmähne, die andere mit Pony. Die beiden machen exzellenten Crépe; eine von beiden hat was mit Lasse am laufen. Dann gibt’s noch den witzigen deutschen Philip mit fünf Ohrringen auf der linken Seite, der gerne russische Volksmusik hört und seine süßen Freundin Jass mit südlichem Akzent. Sie erinnert stark an Sissy’s beste Freundin aus ihrem Au-Pair Jahr, Julia aus München. Dann gibt’s noch Jeremy und Elodie, auch Franzosen, und die deutsche Cynthia mit französischen Freund. Eine weitere Deutsche, Henrike, ist auch dabei – in Deutschland ist sie in die Fußstapfen von Tine Wittler getreten und war Raumausstatterin bis auch sie den Absprung ins Backpacker Dasein geschafft hat. Jetzt will sie, so legen wir es ihr ans Herz, den St. Andrews Campground übernehmen und die neue Edith werden; zudem hat ihr Facebook geraten, mal endlich ein neues Profilfoto anzulegen. 


Tja – und dann sind da eben noch wir zwei und wir sind mehr als gespannt, was die Leute hier so über uns wohl sagen... aber wollen wir das wirklich wissen?


St. Andrews Camp Ground Apple Picker Gang

Wir arbeiten jetzt also mit einer bunten Mischung an Menschen auf dieser Apfelfarm. Mal unterhält man sich mit dem ein oder anderen zwischen den Bäumen über diverse Belanglosigkeiten, weil einem die Äpfel und damit einhergehende Monotonie irgendwann zu Kopfe steigt – irgendwann, also spätestens nach einem Tag, nach 8.5 Stunden Äpfel sortieren oder eben Äpfel pflücken! Es bleibt ein einziges Leiter tragen, Leiter aufstellen, Leiter hochklettern, Äpfel wegwerfen, Äpfel in den Korb legen, 5kg Äpfel auf den Schultern tragen und zur großen Box bringen und ausleeren. Spannender wird es nicht. Irgendwann hilft nicht mehr die Musik, die laut aus den Bluetooth Boxen der Jungs scheppert. Irgendwann hilft kein Techno, kein Schlager und auch keine 70er Jahre Musik mehr. Irgendwann helfen auch keine philosophischen Gespräche und Tagträume unserer gemeinsamen Zukunft mehr gegen diese Monotonie.

Anfangs versuchen wir uns bei der Arbeit noch mit diversen zwar witzigen aber leicht blöden oder anrüchigen Podcast über Wasser zu halten. Dann lauschen wir die letzte Woche Hörbücher über die App BookBeat. Wir hören Hape Kerkeling’s Biografie „Der Junge muss an die frische Luft“, Christiane F.’s verdrogte Kindheit „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“, Christine Thürmers „Laufen, Essen Schlafen“ über den PCT, CBT und AT – die drei großen Wanderwege in den USA, von der mexikanischen zur kanadischen Grenze, Sarah Kuttner’s traurige und dennoch hoffnungsvolle Geschichte „Kurt“, die Suche nach dem Glück in „Hector’s Reise“ von Francois Lelord, ein bisschen „Orange ist he new black“ und noch die ein oder andere Kurzgeschichte. Wir fühlen uns in kürzester Zeit richtig belesen – großartig, endlich hat diese Monotonie einen Sinn.

Nach zwei Wochen, 10 Arbeitstagen haben wir auch diese „Apfel(pf)glück“ Erfahrung hinter uns gebracht und haben definitiv genügend Apples a day gegessen, to keep the Doctor away! Während wir nun also weiterhin die Welt bereisen, machen sich die besten und leckersten Honey Crisp Äpfel bereit für den Export in die USA, wo sie für über $30 das Kilo verkauft werde – wir bleiben hoffnungsvoll, dass Trump genüsslich in einen von den Äpfel beißt, auf den unser amüsanter Kollege höchstpersönlich gepinkelt hat!

Ach Leute – ihr wart einfach hervorragend! Wir vermissen euch, unsere coolen Chefs, die beiden Hunde Sally und Teddy, unsere Plantage, unsere grandiose und einzigartige Community in St. Andrews, ihr war die geilste Apple Picker Crew die man sich hätte vorstellen können  – und dich natürlich, Edith.


 

Für ein cooles Dronen Videos schaut auf unserem Instagram Kanal vorbei!


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